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Mein erster Schneemann

von | 5. Januar 2024

Wir begrüßen Autor Henry Förster auf oberlausitz-art.
In den folgenden 12 Monaten erzählt Henry Förster Geschichten und Episoden von damals und heute.

 

 

 

Mein erster Schneemann

Endlich hatte es geschneit. Ich stand am Küchenfenster und schaute auf die Wiese. Die umliegenden Häuser und die Fichten im Wald, trugen dicke Mützen aus Schnee. Wie alle Kinder hatte ich schon sehnsüchtig auf diesen Tag gewartet. Nun konnte man endlich Schlitten fahren und eine Schneeballschlacht machen.

Damals, Mitte der sechziger Jahre, ich war gerade sieben Jahre alt, musste man auch sonnabends in die Schule gehen. Auf den Weg dorthin schneite es immer noch dicke Flocken und ich freute mich über jede, die auf meiner Nase landete. Das kitzelte. Manchmal steckte ich auch die Zunge heraus, um eine von den großen, dicken Flocken zu erhaschen. Somit konnte ich den Winter nicht nur sehen, sondern ihn auch schmecken. Herrlich!

Gott sei Dank hatten wir an diesem Tag nur drei Stunden Unterricht. Danach rannte ich, so schnell es mir möglich war nach Hause und beeilte mich mit dem Mittagessen. Ich konnte es kaum erwarten, den alten Schlitten von meiner Großmutter aus dem Schuppen zu holen.

Zum Schlittenfahren ist der Pappschnee nicht geeignet, meinte meine Mutter und schlug mir vor, ich solle doch mal einen Schneemann bauen. Ich war unsicher, so etwas hatte ich noch nicht gemacht. Vielleicht früher einmal im Kindergarten mit den anderen. Aber allein? Das sei gar nicht so schwer und ich solle es ruhig mal versuchen, meinte meine Mutter jedoch überzeugend.

So zog ich los auf die Wiese und fing an, aus dem Schnee Kugeln zu formen, genauso, wie sie es mir erklärt hatte. Es schneite immer noch, dicke nasse Flocken. Der Schnee blieb beim Rollen der Kugeln an meinen Strickfäustlingen hängen, also zog ich sie aus. Es dauerte nicht lange und meine Hände waren eiskalt und ich entschied mich, meine Arbeit mit den nassen Fäustlingen fortzusetzen.

Wollte ich die Kugeln richtig festklopfen oder dorthin tragen, wo der Schneemann platziert werden sollte, fielen sie meist auseinander.

Es war eine fürchterliche Schinderei, doch Aufgeben kam nicht infrage. Während ich rollte, klopfte, formte und schleppte, entdeckte ich zwei große Jungs. Sie mochten vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen sein und liefen den Weg, unweit von meiner „Baustelle“ entlang. Kurz blieben sie stehen und schauten zu mir herüber. Ich hatte das Gefühl, sie lachten über mich. Ich entschied mich, sie nicht weiter zu beobachten, während ich mit meiner weißen kalten Schneemasse kämpfte. Vielleicht wollen sie mich ärgern oder gar verprügeln, bei so großen Kerlen weiß man ja nie.

Endlich hatte ich die drei eierförmigen Schneegebilde übereinandergestapelt und steckte eine Mohrrübe als Nase in den Kopf dieses seltsamen Kameraden. Die Kohlestückchen, die ich als Augen und Knöpfe gedacht hatte, waren unter dem neu gefallenen Schnee verschwunden. Beim Suchen danach entdeckte ich die beiden Jungs abermals oben am Weg vorbeilaufen. Sie schauten wieder zu mir, gingen aber weiter. Schließlich fand ich die Kohlestückchen doch noch und platzierte sie an den richtigen Stellen, opferte dem Schneemann meine Mütze und betrachtete mein Werk skeptisch, aber auch erleichtert und mit etwas stolz.

Durchgefroren und mit nassen Schuhen und Socken ging ich nach Hause. Schnell zog ich mir trockene Sachen an und lief zu unserer Nachbarin, meine angewärmten Hausschuhe zu holen.

Immer wenn wir Kinder im Winter das Haus verließen, brachten wir vorher unsere Hausschuhe zu Frau Rodewald, die sie auf ihren Kachelofen in der Wohnstube legte. So hatten mein Bruder und ich dank Frau Rodewald immer sofort warme Füße bei unserer Rückkehr.

Am Nachmittag wollte meine Mutter mit mir Tante Lotte besuchen. Unterwegs begegneten uns erneut die beiden Jungs, die ich beim Schneemannbauen gesehen hatte. Sie grüßten meine Mutter freundlich und gingen weiter in Richtung Lauscheweg. Ich hatte kein gutes Gefühl, zumal sie ganz in die Nähe meines Schneemannes kommen konnten.

Als wir den Heimweg antraten, hatte es aufgehört zu schneien, es war neblig und bereits dunkel. Kurz vor unserem zu Hause, ließ ich die Hand meiner Mutter los und lief zur Wiese hinüber, um nach meinem Schneemann zu sehen.

Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass er zusammengefallen und die Mohrrübe verschwunden war. Für mich stand fest, das konnten nur die beiden großen Jungs gewesen sein, die mir eins auswischen wollten. Ich drehte mich ein Stück zur Seite und konnte es nicht glauben. Da stand ein riesiger Schneemann. Doppelt so groß wie ich, die Möhre im Gesicht, die bei meinem fehlte, Augen aus Kohle, richtige Knöpfe und eine bunte Bommelmütze.

Das konnte ich mir nicht gefallen lassen. Ich musste zum sofortigen Gegenangriff übergehen. Mit ein paar gezielten Schneebällen war dem Monstrum nicht beizukommen, also ging ich mit ganzem Körpereinsatz zur Attacke über und warf mich gegen den Schneemann bis auch hier die Kugeln auseinanderfielen und nur noch ein Haufen Schnee übrigblieb, aus dem eine Mohrrübe emporragte. Die Schlacht war gewonnen und erhobenen Hauptes lief ich nach Hause.

Mit gemischten Gefühlen lag ich abends in meinem Bett und grübelte. Mir wollte nicht in den Kopf, warum mein Schneemann zerstört wurde und ein anderer seinen Platz einnehmen sollte… Irgendwann schlief ich ein.

Am nächsten Morgen lief ich lieber nicht zum Fenster wie am Tag zuvor. Wir saßen gerade alle beim Frühstück, als unsere Nachbarin, Frau Rodewald, in die Küche kam und freudig erzählte, dass bei ihr gestern Nachmittag zwei Jungs gewesen seien. Die hätten sie nach einer alten Mütze und ein paar Kohlestücken gefragt. Ihnen war am Nachmittag aufgefallen, wie sehr ich mich mit dem Bau eines Schneemannes geplagt hatte und wollten mir mit dem großen Schneemann eine Freude machen.

Das war wie ein Stich ins Herz

„Schau doch mal aus dem Fenster“, forderte mich unsere Nachbarin auf. Ganz langsam stand ich auf und schaute hinüber auf die Wiese. Da war kein Schneemann mehr, das wusste ich und ich wusste auch ganz genau, warum, aber ich erzählte keinem davon. Stumm liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Bis heute weiß ich nicht, ob meine Mutter ahnte, was mit dem Schneemann geschehen war. Sie stand neben mir, strich mir über das Haar und meinte, dass es bestimmt heute Nacht getaut habe und deshalb der Schneemann zusammengefallen sei. Unsere Nachbarin tröstete mich. „Vielleicht kommen die Jungs wieder vorbei und bauen dir einen neuen Schneemann.“

Den beiden Oberlausitzer Jungs habe ich bei ihrem ersten Schneemann gern mitgeholfen.

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