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Als freitags noch gebadet wurde

von | 2. Februar 2024

Renger Mühle 1988

 

 

 

 

Als freitags noch gebadet wurde

Wir zogen 1967, meine Mutter, mein Bruder und ich, in die Renger-Mühle in Jonsdorf. Dieses alte Gemäuer hatte schon mehr als einhundert Jahre seine Funktion als Mühle, nicht mit Flügeln, sondern mit einem großen Wasserrad, verloren und war zum Wohnhaus umfunktioniert worden. Zehn Mietparteien wohnten darin. Damals besaß noch keiner ein eigenes Bad. Gewaschen wurde sich im Waschbecken, meist in der Küche, und am Freitag wurde gebadet. Dafür standen allen Hausbewohnern zwei Waschhäuser, besser gesagt Waschräume zur Verfügung. Wer wann welches Waschhaus nutzen konnte, um die große Wäsche zu erledigen oder eben zu baden, war in einem Waschplan genau festgehalten. Jeder besaß seine eigene Zinkbadewanne, die senkrecht neben den anderen an der Wand stand. Man heizte den Kessel an, schöpfte daraus mit Eimern das heiße Wasser in die Wanne, mischte dann kaltes Wasser hinzu und stieg ein. Mein Bruder und ich oftmals zusammen. Dann wurde das Badewasser abgelassen, die Wanne frisch gefüllt und nun war Mutter an der Reihe. Nachdem sie mit dem Baden fertig und ihr Badewasser abgelassen war, stellte sie die Wanne ordentlich an die Wand, heizte den Kessel nach und sagte dem nächsten Hausbewohner Bescheid. Einmal war nach uns die kleinwüchsige Christel aus dem zweiten Hauseingang an der Reihe. Draußen wurde es bereits dämmrig, als mein Bruder und ich über den Hof zur Waschhaustür schlichen. Der Schlüssel steckte von innen, dadurch konnte man nichts sehen. Doch die alte knochige Tür hatte ein Loch. Ein paar Tage zuvor hatten wir ein Stückchen Ast herausgepult und nun hofften wir einen Blick nach innen werfen zu können. Das Astloch war nicht sehr groß und schränkte die Sicht ein. Christel stand neben der Wanne, beugte sich über sie und goss Wasser über ihre Haare, dann nahm sie etwas Shampoo und massierte sich den Kopf. Mein Bruder drängelte, er wolle schließlich auch etwas sehen, ich schob ihn beiseite. Wieder kniete ich im Hof vor der Tür im Sand und linste in Richtung Christel. Leider zielte das Astloch mit seiner Schräge nur auf ihren Kopf. Ich lag fast auf dem Bauch und wollte doch wenigstens einmal einen Blick auf die Brust erhaschen. Daraus wurde nichts, schon rief Mutter nach uns und wir marschierten schnurstracks ins Haus. Natürlich erneut von oben bis unten dreckig. Die Ohrfeige bekam nur ich, nicht mein Bruder. Meine Mutter war sich sicher, dass ich ihn zu irgendeinem Blödsinn angestiftet hatte, weil ich der Ältere war.

Im Winter kam oftmals Plan B zum Tragen. Wenn das Thermometer kräftig unter null fiel, und damals gab es noch solche Winter, schaffte der alte Kessel gerade noch so lauwarmes Wasser. Der Raum selbst blieb hundekalt. So schleppte man die Zinkbadewanne über den Hof und durch den Flur in die Küche. Der gusseiserne Topf auf dem Küchenherd produzierte das heiße Wasser, die Menge wie im Waschhaus hatten wir dann nicht. Zuerst stieg Mutti in die Wanne, danach ich und zuletzt mein Bruder, schließlich war er jünger als ich. Zusammen baden durften wir hier nicht, wir hätten die Küche überflutet.

Stehe ich heute auf dem Hof, blicke ich geradeaus auf das Hauptgebäude der Renger- Mühle, hübsch hergerichtet und modernisiert. Der neuen Besitzerin ist es gelungen, das Fachwerk in den oberen Etagen sichtbar zu machen.

Die alte Holztür ist dagegen längst verschwunden, beide Waschhäuser, ebenso das Seitengebäude, damals Scheune und Schuppen, haben Platz für neuen Wohnraum gemacht. Der große Hof ist heut kleiner als damals, Steinhaufen und Blumen zieren ihn und als Parkplatz für die Besucherautos hat sich seine Bedeutung der Zeit angepasst. Hier spielt keiner mehr Fußball oder Verstecken. Die vier Bänke, die neben dem Scheunentor standen, sind gleichfalls dem Zeitgeist gewichen.

Hier saßen sie fast jeden Nachmittag: die Seibt Emma, der Weyrich August mit seiner Metha, Meißners, Röbisch Josef, die Thiele Berta und wie sie alle hießen. Man hatte sich viel zu erzählen. Zur Uhr schaute keiner. Wenn am Nachmittag die Bimmelbahn am Jonsberghang den „Rengergustelberg“ hochkeuchte und über dem Mittelkonsum zum Vorschein kam, wusste jeder, es ist 15.00 Uhr und damit Zeit für Kaffee und Kuchen. Fuhr der Fünf-Uhr Zug zurück nach Zittau, ging jeder wieder in seine Wohnung, dann war bald Abendbrotzeit.

Heut hat jeder seine eigene Bank hinterm Haus in seiner gemütlichen Sitzecke, wo möglichst keiner gestört werden will.

 

Ich weiß, dass jeder ein eigenes Bad hat! Ob und wann gebadet wird, weiß ich allerdings nicht.

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