Die Einberufung
Hier wäre jetzt meine kleine Geschichte eigentlich schon zu Ende. „Beim Happy-End wird im Film gewöhnlich abgeblend“ aber wie war es überhaupt dazu gekommen? Wieso kam ich überhaupt an die Grenze? Ich hatte doch so viele Verwandte im anderen Teil von Deutschland. Und ich, der im jugendlichen Übermut öffentlich gesagt hatte, „Wenn ich an die Grenze komme, haue ich ab.“ Trotzdem war ich bei den Grenztruppen der DDR.
Schon ein Verwandter reichte bei anderen aus, um nicht für die Grenze zugelassen zu werden.
Den Grundwehrdienst ableisten musste ja fast jeder. Natürlich gab es hier auch Ausnahmen und auch noch die Männer die den Dienst mit einer Waffe aus Überzeugung ablehnten. Aber trotzdem wollte jeder möglichst so schnell wie möglich die Wehrpflicht hinter sich bringen. Wenn man sich für eine längere Dienstzeit entschied, bekam man meist schon mit 18 Jahren die Einberufung.
Ich hatte trotz massiver „Werbeversuche“, für eine längere Dienstzeit, immer dagegen standgehalten.
Auf dem Wehrkreiskommando sagte man mir schließlich in dem gewohnt freundlichen Ton, „Da müssen sie eben warten, bis wir Sie brauchen.“ In meiner unbeeindruckten lockeren Art antwortete ich: „Vielleicht vergisst man mich ja!“ „Das wird sicher nicht passieren“ kam die prompte Antwort im zornigen Ton zurück. Ich zuckte nur mit den Schultern und durfte dann diesen ungeliebten Ort, das Wehrkreiskommando verlassen. Aber man ließ mich nun wenigstens eine längere Zeit in Ruhe. Ich wollte studieren, doch als Gegenleistung verlangte man von mir erneut, in die Partei einzutreten und drei Jahre zur Armee zu gehen. Doch das wollte ich wiederum nicht. Da mir mein erlernter Beruf viel Spaß machte, lehnte ich immer wieder ab. Privat verlief mein Leben eigentlich bisher immer Normal. Ich verliebte mich, wir heirateten und bekamen eine Tochter und ich arbeitete auf dem Bau. An die Armee dachte ich daher nur selten, nur wenn wieder einmal ein Kumpel eingezogen wurde oder einer von der Armee zurückkam. Wir gingen an den Wochenenden nur noch selten zur Disco. Wenn doch, dann passten unsere Eltern auf unser Kind auf. So war es auch an jenem Samstagabend im Winter 1980. Ein Kumpel sprach mich an: „Weißt du, dass du im Mai zur „Fahne“ musst?“ „Ich kann dir auch sagen, dass es an die Grenze geht“ sagte er sicher. „Die haben sich bei mir und auch noch bei anderen Leuten über dich erkundigt.“ Ich wusste, dass er der Stasi Informationen gab, denn er hatte daraus noch nie ein Geheimnis gemacht. Er meinte, „Ich habe nur Gutes über dich berichtet“ betonte er ganz stolz. Mir wäre es in diesem Fall lieber gewesen, er hätte da etwas anderes gesagt. Ich konnte es dennoch nicht richtig glauben. Die gute Laune meiner Frau war nach dieser Information sofort verschwunden und ich spürte gleich, dass ihr eine Laus über die Leber gelaufen ist. Dass ich irgendwann eingezogen werde, wussten wir beide, aber das konnte es nicht sein, was ihr die gute Laune verdarb. Sie gab mir auch keine Antwort als ich mich nach ihrer Stimmungsschwankung erkundigte. Was ich in diesem Moment noch nicht wusste, sie hatte eben noch meine Worte im Ohr, „Wenn ich an die Grenze komme, haue ich ab!“
Aber daran dachte ich allerdings überhaupt nicht mehr. Zuviel hatte sich ja seitdem verändert. Ich war nun verheiratet und hatte eine süße kleine Tochter. Meine Familie im Stich lassen, kam für mich keineswegs in Frage. Glaubte Sie wirklich, dass ich Sie für ein anderes Leben verlassen würde?
Wenn irgendjemand schlechte Laune haben durfte, war das ja wohl ich. Denn ich musste ja zur Armee. Ich dachte an meine Verwandtschaft im anderen Teil Deutschlands, schon deswegen zweifelte ich an den Worten meines Bekannten. Nee, ich glaube das einfach nicht, das „die“ mich an die Grenze stecken.
Ich sollte mich aber gründlich täuschen, denn schon bald kam die Aufforderung mich auf dem Wehrkreiskommando zu melden. Der Termin zur Einberufung wurde mir, mit den sarkastischen Worten „Ja mein Herr, wir haben Sie nicht vergessen“, mitgeteilt. Scheinbar hatte man meine kleine Aussage von einst sogar aufgeschrieben, denn es war bereits vor vier oder fünf Jahren als ich diesen Ausspruch machte.
Tja, dann soll es eben so sein. Es begann eine ungewisse Zeit der Vorbereitung auf eben diesen Grundwehrdienst. Ich ließ mir kurz vorher schon die Haare schneiden denn ich dachte, es ist vielleicht besser nicht gleich unangenehm aufzufallen. Doch hier irrte ich mich erneut.
Die Ausbildung (Teil 1, ein Auszug))
Bei den Grenztruppen war alles anders. Bei diesem „Idiotenhaufen“ mussten einfach alle noch einmal zum Friseur gehen. Egal ob die Haare schon Armeetauglich waren oder nicht. Ich stellte mir nur vor, wenn jemand eine Glatze hatte, ob der auch zum Frisör gehen musste. Mitdenken war hier einfach nicht gefragt. Wir mussten nur den Befehlen gehorchen. Ob diese immer sinnvoll waren, war den Vorgesetzten ganz egal. Diese Umstellung viel mir sehr schwer. Aus Kumpels wurden Genossen, wir machten Frühsport, einmal in der Woche gingen über hundert Mann gemeinsam zum Duschen und das bei sechs funktionierenden Brausen, gegessen wurde im Schnelldurchgang und Gruppenbestrafungen waren an der Tagesordnung. Uns wurde gezeigt, wie wir unseren Spind einräumen durften und dabei gab es keine Alternativen.
Selbst geschlafen wurde auf Befehl. Unser bester Freund war in dieser Zeit ein Hocker der neben dem Bett stand. Sehr oft nahmen wir den Hocker, um uns auf dem Flur wichtige militärische Dinge erklären zu lassen. Mit Befehlen wäre ich schon zurechtgekommen, aber es wurde häufig nur rumgebrüllt. Dabei dachte ich sehr oft an den Ausspruch, „wer schreit hat nicht Recht.“ Ich glaubte wir sollten hier Soldaten werden, aber behandelt wurden wir eher wie Verbrecher. Es war eben alles anders. Wir trieben sehr viel Sport, was mir nicht besonders schwergefallen ist, andere Jungs hatten da mehr Schwierigkeiten. Häufig stand Laufen auf dem Programm. Natürlich die mittleren Distanzen 3000 m, 2400 m und wieder 3000 m. Sehr oft auch schon nach dem wecken. Die Zauberworte waren hier: „Raustreten zum Frühsport zack zack“. Wir schliefen zwölf Mann in einem Zimmer. Sieben Mann kamen aus Sachsen und fünf Leute aus Berlin. Zusammenraufen war hier die erste Devise. Die ersten Tage waren wir nur damit beschäftigt, unsere Ausrüstung und die Sachen anzunehmen und nach Dienstvorschrift im und auf dem Spind zu verstauen.
Nach dem wir die Anschrift der Ausbildungskompanie in Halberstadt erhalten hatten, wurde in der ersten freien Zeit ein Brief nach Hause geschrieben mit der Hoffnung auch bald etwas von zu Hause zu hören. Zur alltäglichen Postausgabe war dann die ganze Kompanie angetreten und es wurden die Namen verlesen, die einen Brief erhalten hatten. Hierbei war ganz wichtig, dass auf dem Brief, Soldat über dem Namen stand. Eine Freundin des Soldaten Peter Meier hielt
sich nicht daran. Sie schrieb immer ganz beharrlich Herr Peter Meier Ihm wurde daher sogar angedroht, die Post nicht mehr empfangen zu dürfen. Er teilte es der Freundin mit und erhielt daraufhin einen Brief mit der Anrede Sir Peter Meier.
Die Kompanie konnte den Zorn des Hauptfeldwebels nicht teilen und es wurde lauthals gelacht. Unsere Freude kam jedoch einer Provokation gleich und es wurde zur Strafe, unter schreienden Befehlen, exerzieren „geübt“. Humor wurde in dieser Welt ausgesperrt. Brüllen und irre Kommandos waren eher angesagt. Mein Gruppenführer ein kleiner 18-jähriger Tollpatsch wollte uns das Militärhandwerk beibringen,
doch das ist etwa so als wenn ein Grundschüler einem Mathematikprofessor das Rechnen beibringen möchte. Das klingt sehr überheblich aber es entspricht schon sehr der Wahrheit. Er war nicht dumm, aber unerfahren, naiv und sein Auftreten und die Stimme waren keineswegs Respekteinflößend. Einer Stummfilmfigur kommt seiner Erscheinung sehr nahe. Tja aber wir mussten trotzdem gehorchen, sonst gab es Gruppenbestrafungen bis hin zu Kompaniebestrafungen, darin waren sich die Führungskräfte einig. Acht Wochen Grundausbildung ohne eine Chance auf Urlaub oder Ausgang kam mir vor, wie eine unendliche Geschichte. Grenzausbildung, Polit-Unterricht, Gefechtsausbildung, Waffenausbildung und die Vorbereitung auf eine Kompaniebesichtigung sind alles Dinge über die man nicht unbedingt schreiben muss, wenn da nicht der ein oder andere Zwischenfall gewesen wäre. Einmal wurde uns erklärt was man zu tun hat, bei Artilleriefeuer, bei MG Feuer oder sogar bei einem Atomschlag. Soldat „Müller“ war nicht ganz aufmerksam, also wurde er aus seinem Traum gerissen mit der harschen Frage, was er denn dabei tun soll. „Atomschlag“ stammelte er noch etwas abwesend „Da kannst du nur hinschauen, denn so was siehst du nie wieder Genosse Oberleutnant.“ Der ganze Zug lachte laut los. Aber wie schon einmal erwähnt, wir waren bei den Grenztruppen und dort gibt es keinen Spaß.
Darum durften wir uns bei dem eben einsetzenden Regenschauer hinlegen und in kurzen Sprüngen über das schon matschige Gefechtsfeld bewegen, was aber noch mehr Lachen auslöste, denn beim Aufstehen trat fast jeder einmal auf seinen angelegten Regenumhang und ist in eine der schon reichlich vorhandenen Pfützen gestürzt.
Trotz großer Anstrengung, gelang es den „Häuptlingen“ nicht, unsere gute Laune zu vertreiben. Wir waren nass bis auf die von uns allen geliebten Unterhosen. Die nicht nur nass, sondern auch schlammig waren und das einen Tag nach dem Unterwäschetausch. Heute hatten wir wieder echt viel gelernt. Einmal in der Woche gab es nämlich neue Unterwäsche. Unterhose und Unterhemd, beides lang. Obwohl das nicht ganz richtig ist. Die jeweilige Konfektionsgröße passte nicht immer zu dem dazugehörigen Soldaten. Da wurden einfach zwölf Mal Unterwäsche ins Zimmer gebracht, und danach die schmutzige Wäsche abgegeben.
Diese Kleidung mussten wir dann anziehen, ob sie passte oder nicht. Nach dieser Ausbildung und einer intensiven Schlammschlacht, erhielten wir doch tatsächlich außer der Reihe einmal neue Unterwäsche. Die Felddienstuniform wurde aber nur getrocknet und anschließend ausgebürstet. Trocknen und ausbürsten ist gleich sauber. Doch auch darüber brauchte man sich keine Gedanken machen. Der Befehl hieß „Sauber“, also war es die Uniform auch.
In diesen Wochen der Grundausbildung hat wohl kaum einer der neuen Soldaten daran gedacht, dass die Grenzer von einigen Menschen auch gehasst wurden. Später sollte ich darüber selbst einige Erfahrungen machen. Bestimmt gab es unter den Soldaten jene, die diesen Abschnitt ihres Lebens als gut oder geil empfunden haben. Armee, gleich rumballern, schreien, andere Leute schikanieren. Das fanden sie gut. Ich gehörte aber ganz sicher nicht zu diesen Menschen. Für mich galt nur ein Gedanke, einfach nur durchhalten und die Zeit so gut es geht bewältigen. Sicher habe ich als Kind oft Cowboy und Indianer gespielt und auch gern mit einem Luftgewehr auf Röhrchen in einer Schießbude geschossen. Aber das war damals alles nur Spiel und Spaß. Nun wurden wir darauf vorbereitet, durch systematische Manipulierung und der Schaffung eines Feindbildes, vielleicht sogar auf Menschen zu schießen. Dazu lernten wir unsere „beste Freundin“, die Kalaschnikow, kennen und bedienen. „Die Gedanken an ihre Freundin oder Frau können sie jetzt vergessen, ihre Braut ist jetzt das Gewehr,“ brüllte ein Offizier über den Appellplatz. Das Maschinengewehr wurde zum täglichen Begleiter. Wir zerlegten es in alle Einzelteile und bauten es wieder zusammen. Man informierte uns über die Flugbahn der Geschosse und die Wirkung bei einem Treffer. Ich konnte mir dennoch nicht vorstellen, wie es ist, auf einen Menschen zu schießen. Die Hoffnung lebte in mir, niemals in solch eine Situation zu geraten. Ich redete mir oft ein, es wird schon nicht so schlimm werden. Doch dann bekamen wir immer wieder Meldungen über Leute, die aus dieser Welt ausbrechen wollten und manchmal auch mit Waffengewalt. Es sind ja auch Soldaten an der Grenze gestorben. Man musste schon sehr abgestumpft sein, wenn man diese Informationen nicht innerlich verarbeiten würde. Angst hatte ich keine, aber ein ungutes Gefühl war schon in mir.
In einem Abschnitt der Ausbildungszeit, bei der Gefechtsausbildung erklärte man uns, wie man sich am besten tarnt. Wir bekamen den Befehl, uns die Gesichter schwarz zu schmieren, damit uns keiner sieht. Es hat aber nicht ganz funktioniert. Ein Zimmergenosse versuchte um diesen äußerst wichtigen Ausbildungsteil herum zu kommen.
Nicht etwa, weil er …..