Vorwort:
In diesem Corona-Jahr werden auch die beliebten Hexenfeuer in der Oberlausitz nicht in traditionell aufwändiger, wie geselliger Form zelebriert werden können. Zum Ausgleich dafür möchte ich einen kleinen Ausschnitt aus dem Roman „Hexenbrennen“ präsentieren. Er handelt von der Wache eins Liebespärchens am Holzhaufen, damit dieser nicht von der Jugend aus der Nachbargemeinde vorzeitig abgefackelt wird. Und natürlich geht es wieder um die Aufklärung der rituellen Katzenmorde die Finkendörfel seit den Tagen vor dem Osterfest in Atem halten:
Ausschnitt aus „Hexenbrennen – der zweite Fall“ von Sylke Hörhold
„Puh!“, machte Vanessa, als der breite Rücken von Micha hinter den Sträuchern des Bornbusches verschwunden war. „Da scheint einer aber mächtig sauer zu sein.“
Eddie warf ein paar Zweige in das kleine Wachfeuer vor sich. „Wahrscheinlich, weil die beiden Grazien vorhin ohne seine Pya aus dem Auto gestiegen sind.“
„Fleischermeister Pohl war ebenfalls stinkig, weil er sein Holz erst mal allein abladen musste.“ Vanessa lachte. „Zum Glück bist du gerade angekommen und konntest helfen.“ Anmutig setzte sie sich neben Eddie ans Feuer. „Da unser junger Wächter von gleich zwei Schönheiten so in Beschlag genommen wurde.“
„Hast du gehört, was die drei da so getuschelt haben?“, fragte Eddie.
„Nicht viel“, sagte Vanessa und zog ihr Wolltuch enger um die Schultern. „Es ging wohl um ein Versprechen, einen Schwur gar, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie waren alle drei ziemlich aufgeregt. Und Irina …“ Sie zögerte.
„Ja? Was war mit ihr?“
„Sie war schon wieder ängstlich“, überlegte Vanessa, „doch auch entschieden. Ich glaube, die Kleine kann auch anders, wenn sie will. – Das war schon irgendwie seltsam, sie so zu erleben. Aber ich habe nicht hören können, worum es genau ging. Die drei sind auf jeden Fall im Zorn auseinander. Ich fand, Irina sah regelrecht grimmig aus, als sie bei dem Pohl wieder in den Wagen stieg und Melanie so unsanft beiseite schubste.“
„Ja, das habe ich auch gesehen“, erinnerte sich Eddie. „Irina“, sagte er nachdenklich. „Die kleine, ängstliche Irina kann auch wütend werden. – Meinst du, die haben von den Katzenmorden geredet?“ Er sah zu Vanessa hinüber. Sofort änderte sich sein Tonfall in liebevollste Besorgnis. „Sag mal, ist dir etwa kalt?“
„Der Wind ist kühl geworden, finde ich“, erwiderte Vanessa mit gekonntem Frösteln. Dann schenkte sie Eddie einen tiefen Blick. Eddie sprang auf. „Komm mit!“, rief er begeistert. „Es gibt hier drin so eine Art Bude.“
Vanessa zögerte, die gereichte Hand zu greifen. „Bude? Wo?“
„Na, im Holzhaufen. Mit Sofa und allem. Micha hat erzählt, dass sie den ganzen Scheiterhaufen drum herum gebaut haben.“ Er zog Vanessa hoch und mit hin zu dem breit aufgeschichteten Holzhaufen, der mittlerweile die stolze Größe einer Doppelgarage erreicht hatte. Endgültig aufgeschichtet wurden die Haufen erst am Tag des Hexenbrennens, um missgünstige Feuerteufel und Tunichtgute von einem vorzeitigen Abfackeln des Haufens abzuhalten.
Noch immer war Vanessa misstrauisch. „Und das ist auch sicher da drinnen?“
„Na klar“, beteuerte Eddie, „haben schließlich die Kameraden der Feuerwehr gebastelt. – Warte!“ Er holte seinen Rucksack, bevor er Vanessa dicht an den Haufen heranführte. Dann nahm er einen großen, dürren Weihnachtsbaum beiseite, an dem noch Reste von Goldlametta hingen. Dahinter kam ein schmaler Durchgang zum Vorschein. „Hereinspaziert!“
Vanessa traute ihren Augen nicht, als sie leicht gebückt in das Innere des Haufens kam. Wie in einem Indianerzelt weitete sich der Raum. In einer Öffnung in der Mitte konnte sie ein Stück Himmel mit pastellfarbenen Abendwolken sehen. Durch die dichte Schichtung der Zweige umher, waren sie jedoch völlig vor den Blicken ungebetener Gäste verborgen. Ein Tischchen stand in der Mitte des kleinen, kreisförmigen Raumes. Man hatte sogar eine alte Kokosmatte auf die zertretene Wiese darunter gelegt. Ein paar umgekehrte Holzkisten dienten als Sitze. Ein dickes, rostrotes Plüschsofa mit zerschlissenem Bezug krönte das Ensemble. „Das ist ja phantastisch“, entfuhr es Vanessa. „Wann, sagtest du, kommt unsere Ablösung?“
„Um Mitternacht“, schnurrte Eddie in Vanessas Nacken. „Wir haben alle Zeit der Welt.“
Sie entwand sich ihm und setzte sich mit Schwung auf das Sofa, das unter ihr wippte. Schelmisch blinzelte sie ihn an. „Und unser Feuerchen da draußen? Und unsere Wache?“
„Ach!“, sagte Eddie. Er setzte sich neben sie und packte seinen Rucksack aus: Gläser, Teelichter, Erdnüsse, Oliven, Korkenzieher, blütenweiße Stoffserviette und eine Weinflasche.
„Einen frühlingshaften Chardonnay aus Neuseeland, Gnädigste?“
„Eddie!“ Er bekam einen liebevollen Stupser in die Rippen. „Du hast doch nicht etwa den Weinkeller deiner Eltern geplündert?“ Eddies Ohrenspitzen verfärbten sich etwas, als er wiederum „Ach“ brummte. Er entkorkte die Flasche, schnupperte weltmännisch an dem Kunststopfen und schenkte dann ein. Inzwischen hatte Vanessa die Teelichter entzündet und war dabei, sich eine filterlose Zigarette zu drehen. Eddie hielt inne, als er das bemerkte. „Ist es das, wofür ich es halte?“
„Tabak, meinst du?“ Vanessa leckte das Zigarettenpapier und schloss die Rolle. Als Eddie wie versteinert schwieg, gab sie ihm noch einen sanften Stups. „Es ist Tabak, Eddie.“ Sie hielt ihm die Rolle unter die Nase zum Schnuppern. „Du bist aber wirklich ein sehr braver Junge“, spottete sie sanft.
„Das ist kein Scherz für mich!“
Vanessa wurde ärgerlich. „Heh! Das ist Tabak. Kein Kraut, klar?“ Sie wollte sich die Zigarette anzünden.
„Du solltest trotzdem besser nicht rauchen“, meinte Eddie.
„Und die Kerzen?“, gab Vanessa zurück. „Meinst du etwa, die sind nicht gefährlich inmitten dieses Scheiterhaufens?“
Eddie brummelte etwas Unverständliches und reichte Vanessa eines der Gläser. Ihm war nach allem Möglichen, nur nicht nach Streit. Ähnlich versöhnlich gestimmt, packte Vanessa die Selbstgedrehte in ihr besticktes Tabaktäschchen zurück. Sie prosteten sich zu. Sie küssten sich. Fassten sich an. Zart und suchend erst. Eine gute Weile versanken sie dann in ihrem Spiel und vergaßen Feuergefahr und Drogen.
Schließlich rauchte Vanessa doch noch ihre Selbstgedrehte und Eddie betrachtete sie dabei versonnen.
„Hast du noch nie geraucht?“, fragte Vanessa.
„Noch nie“, beteuerte Eddie. „Ich finde, das Zeug stinkt.“
„So?“ Vanessa zog die Augenbrauen hoch.
„Na ja. Die hier geht schon.“
Sie lachte. „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich finde es total in Ordnung, dass du zu deiner Verweigerung stehst. Und wenn es halt Tabak und Drogen sind, ist das auch gut.“ Verschmitzt blinzelte sie ihn an. „Hauptsache, du wirst nicht zum fanatischen Verfolger von all denen, die vielleicht eine andere Beziehung dazu haben.“
Eddie richtete sich auf. „Welche Beziehung hast du denn dazu?“
„Eine sehr lockere“, erwiderte Vanessa lächelnd.
„Also hast du schon was probiert? Ich meine Drogen.“
Jetzt setzte sich auch Vanessa auf. Sie spürte, wie ernst es Eddie damit war. „Keine harten Drogen“, sagte sie ernsthaft. „Aber in Mexiko haben wir manchmal Traumkraut verräuchert. Das war eine ganz nette Erfahrung.“
„Traumkraut!“
Vanessa schüttelte den Kopf. Sie zogen sich an.
„Wo kriegt man denn hierzulande dieses Traumkraut her“, fragte Eddie, während er ihre Gläser auffüllte. Doch Vanessa schien plötzlich wie erstarrt. Sie lauschte.
„Was ist?“
„Still!“, flüsterte sie. Sie packte seinen Arm. Dann hörte auch er etwas. Jemand war draußen. Jemand war am Holzhaufen.
Schuldbewusst sahen sie sich an. Ahnte derjenige, dass die Wächter hier im Inneren des Haufens waren? War das schon die Ablösung? Eddie sah auf seine Uhr. Kurz vor zehn. Das wäre sehr zeitig. Auch hätten die Kameraden der Feuerwehr gewusst, wo sie zu suchen hätten, fänden sie das Feuer verlassen. Ob es noch brannte?
Rascheln von Geäst. Der Haufen wackelte. Etwas trockenes Laub aus den Zweigen fiel in Vanessas Haar. Sie sah besorgt aus. Ihr Wolltuch hatte sie schützend vor ihrer Brust zusammengezogen. Eddie wollte etwas sagen, doch Vanessa legte den Zeigefinger an ihre Lippen. Sie warteten. Der Fremde schien allein zu sein. Sie hörten sein Keuchen. Er warf etwas in das Reisig am Rande des Haufens. Schritte, die sich entfernten.
Dann Stille, so unheilvoll, dass sie kaum zu atmen wagten.
Erst hörten sie es. Ein Fauchen, Knistern, Brausen. Und dann rochen sie es. Rauch. Feuer.
„Raus hier“, schrie Eddie. Er packte Vanessa. „Das Schwein hat den Haufen angezündet.“
Das Brausen wurde stärker. Der Abendwind entfachte die Flammen. Schon umhüllte sie der beißende Rauch. Geistesgegenwärtig griff Vanessa nach Eddies Rucksack. Dann kämpften sie sich hinaus.
Der Abendwind hatte sich gelegt. Brandgeruch lag wie eine bedrohliche Glocke über dem Tal von Finkendörfel. Oben am Bornbusch blinkten die blauen Lichter der letzten Einsatzwagen. Die Polizei war noch da. Natürlich die Feuerwehr, die den restlichen Brand beaufsichtigte. Der Krankenwagen war schon lange wieder gefahren. Der Beistand der Sanitäter beschränkte sich auf die Versorgung einer hässlichen Brandwunde an Vanessas rechter Hand. Sonst war das überraschte Pärchen mit leichten Blessuren und einem gehörigen Schrecken davongekommen. Nun wurden sie dermaßen von ihren Tanten und Verwandten bemuttert, dass das Rettungsteam alsbald sein Heil in der Flucht suchte.
Still und gedankenvoll betrachtete Julia die aufgeregte Gesellschaft in der Gaststube des Erbgerichtes, die sich zu dieser nächtlichen Stunde hier eingefunden hatte, um sich von den Aufregungen des Abends zu erholen. Und das ging am besten in Gemeinschaft und möglichst bei einem Glas Bier. Keiner konnte jetzt gleich nach Hause gehen. Eigentlich war im Erbgericht um diese Zeit schon Schankschluss, doch im Katastrophenfall – also so wie heute – spielte das keine Rolle. Mit glühenden Ohren stand Jörg hinter dem Tresen und schenkte jedem von allem ein, was er in dieser Stunde des Schreckens gerade brauchte.
Oliver Miskowitz kam aus der Küche geeilt. „Ob ich wohl trotzdem nach Hause könnte?“, fragte er Jörg. „Ich mache mir Sorgen um Bella. Diese ganze Aufregung im Dorf – sie spürt so etwas.“
Jörgs Gesicht verzog sich unwillig bei dieser Bitte, doch Katja kam einer Antwort zuvor. „Natürlich musst du nach deiner Mutter sehen, Oliver“, sagte sie herzlich. „Wir schaffen das schon. Ich glaube nicht, dass einer von denen hier noch ein Menü wünscht.“ Sie nickte lächelnd in Richtung übervollem Schankraum. „Zum Glück ist ja alles gut ausgegangen. Sag das deiner Bella. Das wird sie beruhigen.“
Heftige Diskussionen brandeten durch die verrußte Gästeschar in Uniform und Zivil. In ihrer Mitte auf der Ofenbank das unglückliche Pärchen. Vanessa fand durch einen jungen Rotschopf der freiwilligen Feuerwehr beste Fürsorge. Misstrauisch beäugt durch Eddie daneben, der sich Ella-Mas Bemutterung kaum erwehren konnte. Während Trude mit den Leuten von der Feuerwehr jede Minute eine neue Theorie aufstellte, wer es denn gewesen sein könnte, der den Hexenhaufen von Finkendörfel so frech vorzeitig abgefackelt hatte.
„Das waren bestimmt die vom Jugendclub Eckertswalde“, erklärte gerade einer der Feuerwehrleute bestimmt. „Das bedeutet Krieg!“
„Ach, hört doch bloß auf. Darauf warten die doch nur.“
„Ich sage nur“, verkündete Trude düster: „Rupert Hantzsch!“
Ein paar lachten ungläubig. „Hantzschens Rupert? Warum denn ausgerechnet der?“
„Weil das genau seine Handschrift ist. Wer weiß, was er wieder für eine seiner Luderein vertuschen wollte mit dem Brand.“
„Ach Trude“, wandte Ella-Ma ein. „Übertreibst du nicht etwas mit deinem Rupert?“
„Der ist überhaupt nicht ‚mein’ Rupert!“, entgegnete Trude wütend. „Wäre er nicht sonst schon lange hier aufgekreuzt?“
Die anderen sahen sich an und murmelten zustimmend. „Das ist wirklich seltsam.“
„Wir müssen dem guten Rupert doch mal auf den Zahn fühlen.“
„Zahn?“, ätzte Trude. „Ich frage mich, welchen Zahn ihr da meint?“
Brüllendes Gelächter belohnte ihre kleine Boshaftigkeit.
„Also ich finde, wir sollten einfach ein neues Feuer errichten“, rief dagegen Katja. „Hier beim Erbgericht. Damit zeigen wir es allen!“
Ihre Worte ließen die anderen für einen Moment verstummen.
„Aber Katja“, wandte ein bärenhaft riesiger Feuerwehrmann ein. „Wo willst du denn so viel Holz herkriegen bis Freitag?“
„Knut hat recht, das könnte schwierig werden.“
„Schwierig bestimmt“, sagte Katja und stellte die Teller auf den Stammtisch, „aber machbar.“
Und schon kamen erste Vorschläge. Der Reisig, der noch um den Haupthaufen herum aufgestapelt lag, war weitgehend vor den Flammen gerettet worden, wenn auch völlig durchweicht. Doch da waren ja ganze Lauben abzureißen, wie sich plötzlich herausstellte, Keller zu entrümpeln und dann kannte noch einer einen, der einen kannte …
Die Sache war beschlossen, schnell waren die Aufgaben verteilt. Ein Hoch auf die Wirtsleute. Noch eine Runde vom Kurzen! Das Getöse wuchs an. Julia drohte der Kopf zu platzen. Sie stand auf, um sich zu verabschieden.
„Entschuldigen Sie“, hörte sie eine zaghafte Frauenstimme mit Akzent. „Entschuldigen Sie bitte vielmals.“
„Ruhe!“, brüllte Jörg. Widerwillig gehorchten seine Gäste.
„Frau Müller!“ Katja kam zu der Frau geeilt, die in Begleitung eines blonden Burschen in die Gaststube getreten war. Julia erkannte Eugen, Irinas Bruder. Der Gips war entfernt worden, seine Unterarme nur noch eingebunden. Irinas Mutter hatte Tränen in den Augen. Sie sah verstört aus. „Mein Kind“, stammelte sie, kaum, dass sich die Lautstärke senkte, „mein Mädchen ist verschwunden.“
Sylke Hörhold