Ein Jahr lang erfreute uns nun Schriftsteller Henry Förster mit seinen fantasievollen und historischen Geschichten auf oberlausitz-art.
In so mancher entspannten Lesestunde brachte er uns zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken.
Oberlausitz-art wünscht Herrn Förster, im Namen aller Leser, weiterhin viel Erfolg und uns weitere amüsante und spannende Geschichten.
Oberlausitz-art sagt: Vielen Dank
Die Schaukel hängt so traurig da, denkt Helga, als sie beim Frühstücken aus dem Fenster schaut. Noch im letzten Frühjahr schwebte Annabell auf ihr durch die Luft. Ihr kleiner Bruder spielte im Sand und der kleine Spielplatz lebte. Im Herbst zogen die beiden mit ihren Eltern fort. Seitdem wächst Gras im Sandkasten und die Schaukel hängt lustlos und schlapp in den Seilen.
Es scheint, als sei es nur ein paar Wochen her, dass Helga selbst auf ihrer Schaukel durch die Luft flog. Ihre Zöpfe wehten im Wind und wenn sie vors Gesicht flogen, schnappte sie danach. Manchmal bekam sie einen Zopf zwischen die Zähne und fühlte sich, als ob sie ein Bonbon aus der Luft geschnappt hat.
Nein, das war nicht vor ein paar Wochen. Das war vor fünfzig Jahren. Gerade jetzt stößt das besonders auf. Jetzt, wo sie sich vorzeitig in den wohlverdienten Ruhestand versetzen ließ. Obwohl Helga sehr an ihrem Beruf hing, vor allem an ihren Schülern, war ihre Entscheidung gefallen: Die letzte zehnte Klasse durch die Prüfung bringen und dann ist Schluss. Die Rente würde reichen, etwas Gespartes gab es ja auch noch, dann ist endlich Zeit für Reisen, malen und relaxen.
Mittlerweile ist sie schon ein halbes Jahr zuhause, die plötzliche Ruhe, hat sie unterschätzt. Eigentlich sollte sie sich an das Alleinesein gewöhnt haben, seit sich ihr Mann so mirnichts dirnichts vor neunzehn Jahren aus dem Staub gemacht hat. Da gab es aber noch ihre Schüler und Lehrerkollegen. Nun scheint ihr an manchen Tagen, die Decke auf den Kopf zu fallen.
Heute ist Weihnachten, von Schnee keine Spur. Ganz im Gegenteil, es wirkt sogar etwas frühlingshaft. Egal ob mit oder ohne Schnee, dem Weihnachtsfest gewinnt Helga auch diese Jahr nichts ab. Einen Weihnachtsbaum stellt sie schon ewig nicht mehr auf. Soll sie sich selbst bescheren? Ne! Von ihr aus, könnte Weihnachten ausfallen! OK, in die Christnacht wird sie dann doch gehen, damit sie unter Leute kommt.
Auf dem Nachhauseweg aus der Kirche genießt Helga die geschmückten Fenster, die vielen Herrnhuter Sterne und Lichterketten die an den Bäumen der Vorgärten strahlen. Ein bisschen Wehmut huscht in ihre Stimmung: Wo ist die Zeit nur geblieben, als sie vorm Weihnachtsbaum, ihrem als Weihnachtsmann verkleideten Vater ein Gedicht aufsagen musste und alle zusammen Stille Nacht-Heilige Nacht sangen. Erst dann bekam sie ihr Weihnachtsgeschenk und den bunten Teller. Ob drüben bei Schröders die Kinder auch noch singen müssen oder bekommen sie die vielen Geschenke gleich?
Zuhause angekommen, öffnet sie die Tüte, die sie von ihren ehemaligen Lehrerkollegen zur Weihnachtsfeier bekommen hat. Pfefferkuchen, ein Schokoladenweihnachtsmann, einen kleinen Herrnhuter Stern und eine Flasche Glühwein. Helga hat schon ewig keinen Alkohol getrunken: Mit wem auch? Sie beschließt, keinen Trübsal zu blasen und hängt den kleinen Stern, dessen Leuchtdiode warm-gelb leuchtet, ins Fenster, wickelt den Weihnachtsmann aus und beißt ihm den Kopf ab. Den Glühwein macht sie heiß, gießt sich eine Tasse ein und geniesst, den wärmenden süssen Tropfen. Schon die zweite Tasse davon merkt Helga und in ihr steigt ein ganz besonnderes Verlangen auf. Sie weiß, dass keiner der vier Mietparteien im Haus über Weihnachten da ist. Sie schleicht über den Hof und setzt sich auf die Schaukel. In Windeseile beherrscht sie die Schaukeltechnik wieder und steigt höher und höher. Der alte Baum knarrt, die Schaukel quitscht. Ja! Und wie vor fünfzig Jahren schnappt sie mit ihrem Mund nach den Zöpfen, die nicht mehr da sind. Sie ist wieder Kind, unbeschwert, beschwingt. Sie fliegt wie damals in die Wolken. Ihr ist es völlig egal, was irgendwelche Leute denken würden, wenn man sie so sieht. Nach zehn Minuten steht die Schaukel still und Helga lässt glücklich und erschöft vor Freude, den Tränen freien Lauf. Ein junger Mann, dem auf seinen nachhauseweg ein Quitschen aufgefallen ist, kommt auf Helga zu und fragt besorgt , ob alles ok sei oder sie Hilfe brauche. Helga antwortet lächelnd: „Nein. Ich brauche keine Hilfe, mir ging es lange nicht so prächtig wie heute!“ Es beginnt zu schneien und sie schnappt nach den Scneeflocken, so wie damals und lächelt dem jungen Mann zu: „Frohe Wehinachten
Beitragsfoto „Schaukel im Schnee“ – kostenloses Foto von pixabay.
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