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Hinter der Mauer muss die Freiheit wohl grenzenlos sein

von | 9. August 2024

 

Als ich letztens durch mein Jonsdorf lief, blieb ich vor der Baustelle am Kurhaus stehen. Endlich hatte das altehrwürdige Haus einen neuen Besitzer gefunden. Nun wird es saniert. Es soll nicht mehr als Hotel, sondern als Bettenhaus, für die meist männlichen Gäste, die ihre Frauen und Kinder im Mutter-Kind-Kurheim Jonsdorf besuchen, genutzt zu werden.

Für die Öffentlichkeit als Tanzlokal und Speisegaststätte, so wie einst, hat es ausgedient.

Doch leider bleiben auch die Türen der im Kellergeschoß befindlichen, urigen Bierstube, für immer geschlossen. Das ist besonders Schade.

Für mich und die meisten meiner Schulfreunde war es in den achtziger Jahren selbstverständlich, den Sonntagabend in der Bierstube, bei süffigen Eibauer Schwarzbier zu verbringen. Irgendwann brachten mein Bruder Steffen und ich die Gitarren mit, und so entwickelten sich unzählige Abende, an denen in der großen Stammtischrunde musiziert, gesungen und auch viel getrunken wurde. Wir waren jung und wahrlich voll verrückter Ideen. Nichts schien unerreichbar, kein Weg war zu weit und kein Blödsinn wurde ausgelassen. Wir hatten Ziele und Pläne. Vor uns stand noch der größte Teil unseres Lebens.

Das letzte Bier gab es um halb elf, Ausschankschluss. Gaststättenschluss war 23.00 Uhr. Der wurde meist eingehalten. Am nächsten Tag waren alle pünktlich im Betrieb und erfüllten ihre Aufgaben. Die ersten zwei Stunden oft nur mit halber Kraft aber „Blau“ gemacht hat keiner.

Jeden Sonntag kochte die Stimmung fast über. Bis zu zwei Wochen im Voraus musste man in der Bierstube Plätze reservieren, um diesem außergewöhnlichen Spektakel beizuwohnen.

Wir sangen auf dem Bierfass stehend, tanzten Kalinka und Schwanensee vor dem Tresen. Volkslieder, Oldies, Countrymusik aber auch aktuelle Songs standen auf dem Programm, immer den Blick in die Runde, ob nicht jemand verdächtig genau hinhörte, wenn wir manchmal in den Liedtexten etwas veränderten.

So zum Beispiel, Reinhard Meys „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Das wurde von uns regelmäßig abgewandelt. So sangen wir mutig: „Hinter der Mauer, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Damals in der DDR, hätte so etwas viel Ärger einbringen können. Diese Textvariante wurde immer öfter und lauter gesungen. Die Gäste in der Bierstube waren begeistert und wir wurden unvorsichtiger. Dann hat uns doch einer angezinkt. Eines Tages stand die „Sozialistische Staatsmacht“ vor dem damaligen Bierstubenwirt. Der zeigte sich empört und schwor der Behörde, dass hier so etwas noch nie gesungen wurde und er dies auch nicht gestatten würde. Er sei schließlich selbst Genosse! Damit war die Angelegenheit vom Tisch. Die kommenden Wochen sangen wir das Original von Reinhard Mey, aber einige Zeit später wieder die Textabwandlung, „Hinter der Mauer, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“, nur etwas leiser.

Im September 1989 erhielt ich einen Brief von unserem ehemaligen Bierstubenwirt aus Bayern. Er und seine Frau gehörten mit zu den Ersten, die über Ungarn in den Westen geflüchtet sind. Sicherlich aus Neugierde, ob hinter der Mauer die Freiheit wirklich so grenzenlos ist.

 

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