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Rummel um Marie

by | 15. Juli 2022

„Mama, guck doch mal, der ist so niedlich.“

„Ja, Marie, aber komm doch jetzt. Du wolltest doch Karussell fahren.“

„Aber Mama, nur noch ein bisschen.“

Marie kniete auf der einen Seite des Bauzauns, der das Festgelände von den Stellplätzen der Schausteller abgrenzte, während auf der anderen Seite ein Mischlingswelpe auf und ab lief und zwischendurch immer wieder an ihrer Hand schnüffelte. Ihre Mutter sah es nicht gern, wenn Marie mit fremden Tieren spielte. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst als Kind von einem Hund gebissen wurde.

„Bitte, komm doch jetzt. Wir sind doch nicht wegen des Hundes hergekommen.“ Langsam gingen Franziska Schmidt die Nerven aus. Sie wusste, wie sehr ihre Fünfjährige Tiere liebte, aber wegen der Tierhaarallergie ihres Mannes konnten sie nicht mal einen Hamster halten.

„Och menno.“ Widerwillig stand Marie auf.

„Vielleicht hätten wir doch erst einen Mittagsschlaf machen sollen“, sagte Frau Schmidt.

Der Jahrmarkt lockte auch Ella und Kathi aus der Wohnung. Vor allem das Riesenrad hatte es ihnen angetan. Von ganz oben konnte man bei so klarem Wetter wie heute kilometerweit über das Land blicken. Nachdem sie ausgestiegen waren, steuerten sie zielgerichtet auf die Softeisbude zu, wo sich aufgrund der sommerlichen Temperaturen eine beträchtliche Schlange gebildet hatte.

„Mama, können wir dem kleinen Hund auch ein Eis bringen? Dem ist bestimmt auch warm.“  Ein Stück vor ihnen stand ein Mädchen und zupfte seine Mutter am Ärmel. „Aber Marie, Hunde dürfen kein Eis essen, die vertragen das nicht.“ Die Kleine zog eine enttäuschte Schnute. „Können wir ihm dann ein Wiener bringen?“

„Marie, jetzt ist aber gut. Der Hund gehört jemandem und der wird sich auch um ihn kümmern.“  Langsam wurde die Frau ungehalten und Ella wusste nicht, wen sie mehr bedauern sollte; die Mutter, die dem Mädchen sicher nicht gern alle Wünsche abschlug, oder die Kleine, die so enttäuscht war.

„Mama, mir ist langweilig.“

„Schätzchen, wir wollten doch ein Eis essen und ganz viele andere Leute haben heut dieselbe Idee. Da müssen wir eben ein bisschen warten.“  Marie nahm diese Erklärung hin und tänzelte in der Reihe vor und zurück. „Magst du lieber ein Softeis, heute gibt es Mango-Vanille. Oder eine Kugel?“

„Dann will ich ein Zopfeis.“

Ella amüsierte sich über das kleine Mädchen. Auch sie hatte als Kind immer Zopfeis gesagt, weil die Spitze eben aussah wie das Ende eines Zopfes.

Die Schlange rückte nur langsam vorwärts und Franziska Schmidt hatte eine Bekannte getroffen, mit der sie sich unterhielt. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihre kleine Tochter, die das alte Karussell mit den Pferden bestaunte. Als sie endlich an der Reihe war, bestellte sie zwei Softeis.

„Marie, komm Eis essen“, rief sie in Richtung des Karussells. Auf den ersten Blick konnte sie ihr Kind nicht entdecken. „Marie!“ Die Stimme der Frau wurde aufgeregter. „Marie, lass die Scherze.“ Eilig lief sie eine Runde um das Fahrgeschäft und schaute, ob ihre Tochter sich vielleicht vor Langeweile auf eines der Pferde gesetzt hatte.

„Haben Sie ein kleines Mädchen gesehen, brünett, mit Zöpfen und ein hellblaues Kleid mit Punkten. Sie war eben noch da und jetzt…“  Panik schwang in der Stimme der Mutter mit. Sie sprach die Leute an, die hinter ihnen in der Warteschlange am Eiswagen gestanden hatten.

„Bitte beruhigen Sie sich. Wir helfen Ihnen suchen.“ Kathi legte der aufgeregten Frau tröstend die Hand auf den Arm.

„Müssen wir nicht die Polizei rufen?“

„Erst einmal suchen wir selbst“, reagierte Ella beherzt. „Wo wollte Ihre Tochter denn unbedingt hin, da suchen wir zuerst.“

„Sie wollte zu dem Karussell, Eis essen und an die Losbude“, erklärte Franziska Schmidt mit erstickter Stimme.

„Gut, dann bleiben Sie hier, falls sie hierher zurückkommt. Kathi, du beobachtest den Eisstand, ich geh zur Losbude“, wies Ella an. Die Frauen nickten und Ella lief los, blickte sich um doch auch auf dem Weg und an der Losbude war Marie nicht zu sehen. Fragen an die Losverkäufer nach dem kleinen Mädchen wurden verneint. Nun wurde auch ihr mulmig zumute. Erfolglos kehrte sie zu Kathi und Frau Schmidt zurück.

„Sagen Sie bitte, haben Sie mit Marie eine Absprache, was sie machen soll, wenn Sie sich verlieren?“

„Nicht so direkt, sie ist ja auch noch so klein und eigentlich läuft sie auch nicht weg.“ Inzwischen standen ihr die Tränen in den Augen. „Was, wenn ihr was passiert ist?“

Plötzlich fiel Ella etwas ein. „Was ist das für ein Hund, von dem Marie vorhin gesprochen hat?“

„Ach der. Den haben wir bei den Schaustellern gesehen, als wir vom Parkplatz hergelaufen sind und…“, sie unterbrach sich selbst, „Sie denken doch nicht etwa…?“

„Kathi, wartest du bitte hier, falls sie doch hier auftauchen sollte?“ Kathi nickte und ließ ihren Blick weiter über den Platz schweifen.

Ella und Frau Schmidt liefen derweil zu den Campern der Schausteller. Als sie am Zaun ankamen, trauten sie ihren Augen kaum. Im Schatten eines der Wohnwagen schlief ein kleines Mädchen mit einem Mischlingswelpen im Arm.

„Marie! Oh mein Gott, da bist du ja.“ Frau Schmidt schlug gegen den Zaun und weinte vor Erleichterung. Marie öffnete träge die Augen. „Wie bist du nur da reingekommen?“

„Mama.“ Verschlafen schob das Mädchen den kleinen Hund zur Seite, lief dann zum nächsten Wohnwagen und quetschte sich durch die Lücke zwischen zwei Zaunfeldern.

Die Mutter drückte ihre Tochter fest an sich. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht, du kannst doch nicht einfach weglaufen.“

„Mir war so langweilig und dem kleinen Hundchen auch. Dann haben wir ein bisschen gespielt und weil ich so müde war, hab ich mich hingesetzt…“

„… und bist eingeschlafen“, mischte Ella sich jetzt ein. „Junge Dame, du hast hier einige Leute ganz schön auf Trab gehalten.“

Marie senkte verschämt den Blick. „Tut mir leid, der war so niedlich und ich darf keine Haustiere haben, weil Papa davon krank wird. Ich lauf nie wieder weg, versprochen.“

„Ich bin einfach nur froh, dass nichts passiert ist.“ Frau Schmidt sah Elle dankbar an. Darf ich mich bei Ihnen und Ihrer Freundin für Ihre Hilfe mit einem Eis revanchieren?“

Ella lachte. „Eis geht immer. Vor allem, wenn die Gemüter so erhitzt sind.“

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