Lange Zeit war ich überzeugt, dass ein Garten-Blumenstrauß nichts als Freude macht, – dem, der ihn pflückt und dem, der ihn bekommt.
In den letzten Jahren habe ich erfahren, dass dieses Thema umstritten ist.
Vielleicht kann folgende Geschichte für blumige Vermittlung sorgen.
Johanna richtete sich auf und streckte den Rücken. Einen schönen Strauß hatte sie gepflückt, bunt und nicht zu groß – perfekt für einen Kaffeetisch. Sie fingerte in ihrer Gartenhose nach dem Band, da fiel ihr Blick auf einen Trieb des Rosenstockes, der hinüber zum Lavendel wuchs. „Dort bekommst du wenig Licht“, murmelte Johanna und versuchte, dem Zweig eine andere Richtung zu geben. Es gelang ihr nicht. „Na, da bekommt die Rosi noch ein Röschen dazu.“ Mit der Gartenschere gab sie dem Stiel die richtige Länge, dann platzierte sie die Rose zwischen den anderen Blüten im Strauß und dekorierte ihn mit Blättern. So farbenfroh und fröhlich war er geworden, dass sie ihn am liebsten selbst behalten hätte. Aber nein. Sie war gespannt auf die Augen ihrer alten Schulfreundin, wenn sie ihr heute Nachmittag den Strauß überreichen würde. Endlich hatten sie einmal Zeit füreinander gefunden.
“Schön, dass du da bist. Komm rein!“, rief Rosemarie, als sie die Tür öffnete, doch Johanna blieb stehen und hielt ihr den Strauß erwartungsvoll entgegen. „Für dich!“
„Oh! Hast du deinen Garten geplündert?“ Bevor Johanna ihr die Blumen in die Hand drücken konnte, war Rosemarie in der Küche verschwunden und klapperte mit Geschirr.
Johanna unterdrückte die Enttäuschung, folgte ihr in die Wohnung und versuchte es noch einmal: „Ist das nicht eine Farbenpracht?“
„Hm, wirklich hübsch, aber warum abpflücken? Ich denk, du liebst Blumen.“
Johanna schluckte.
„Jetzt lassen wir es uns schmecken“, schlug Rosemarie vor und schob ihren Besuch zum Kaffeetisch, „und dann wird erzählt.“
Johanna hielt den Strauß noch immer in der Hand. „Der muss ins Wasser.“
„Ach ja, mal sehn, ob ich was Passendes finde.“
Aus den Augenwinkeln beobachtete Johanna, wie ihr Strauß in einer großen Vase versank und neben dem Spülbecken stehen blieb.
‚Mach dir nichts draus‘, redete sie sich ein, ‚du wirst doch deswegen nicht sauer sein.‘ Allerdings schmeckte ihr der Kuchen nicht so recht und nur mit halbem Ohr vernahm sie das Geplauder der Freundin.
„Gesprächig bist du nicht gerade“, hörte sie Rosemarie sagen und bemühte sich, aufmerksamer zu sein. Sie erinnerten sich an gemeinsame Erlebnisse und schauten Fotos an. Wie viel hatten sie früher zusammen unternommen. Im Nu war es Abend.
„Wann treffen wir uns das nächste Mal?“, fragte Rosemarie gut gelaunt beim Abschied.
„Mal sehn, ich melde mich“, gab Johanna zurück und merkte, dass sie im Moment gar keine Lust darauf hatte. ‚Plündern‘ – spukte in ihrem Kopf.
Wochen vergingen und Johanna schob den Anruf immer wieder auf. War sie so eine Mimose? Rosemarie würde sich über das lange Schweigen wundern. Andererseits – warum hatte sie sich nicht einfach über den Blumenstrauß gefreut, ohne diese Bemerkung? Eine Weile kämpfte Johanna mit sich, dann dachte sie daran, dass die Freundschaft wichtiger war als ihr Stolz. Sie würde jetzt anrufen. Und dann? Erklären, dass sie beleidigt war? Sie kam sich albern vor. Bevor sie zum Hörer greifen konnte, klingelte das Telefon.
„Ach, du bist’s, Rosi“, murmelte Johanna. Das war Gedankenübertragung. „Ja, es soll schön werden am Wochenende. … Ach was, ich hab dich nicht vergessen. … Morgen? Nein, da mach ich Großeinsatz im Garten. … Das ist keine Ausrede. … Was willst du?“
Rosemarie hatte vorgeschlagen, im Garten zu helfen und ließ sich nicht abwimmeln.
‚Ich lass diese Großstadtpflanze doch nicht an meine Blumen‘, war Johannas erster Gedanke. Dann schalt sie sich ein kleinliches Weib. Vielleicht war die gemeinsame Beschäftigung im Garten ganz gut. Es hatte lange nicht geregnet, der Boden war staubig, nur dem Unkraut schien das nichts auszumachen. Auf alle Fälle musste die Hacke ran. Einige Stauden bogen sich unter der Last der Blüten und brauchten eine Stütze. Verblühtes war abzuschneiden, es gab genug zu tun.
Am nächsten Morgen wachte Johanna zeitig auf und als ihr einfiel, dass sie heut zu zweit im Garten arbeiten würden, huschte sie summend ins Bad. Nach dem Frühstück inspizierte sie ihren Geräteschuppen, freute sich über ihre gute Ausrüstung und stellte alles bereit: Spaten, Hacke, Grabegabel, einen großen Korb, Bindedraht und die Gartenschere. Als sie die Wassertonne füllte, hörte sie das Klingeln von Rosemaries Fahrrad.
„Du hast dich aber früh auf den Weg gemacht. Möchtest du einen Kaffee?“
„Lass uns gleich anfangen“, rief Rosemarie während sie sich im Garten umsah. „Aber hör mal, was wollen wir eigentlich machen? Sieht doch gut aus hier.“
Dass Pflanzen, die Unkraut genannt wurden, zwar an Wegrändern, in Wald und Wiese schön aussahen, aber ein Blumenbeet überwuchern konnten, darüber hatte Rosemarie nie nachgedacht. Johanna zeigte ihr, wie hinterlistig manches Schlingkraut sich breit machte und andere Blumen verdrängte, wie viele Pflanzen unzählige Samen verstreuten, die niemals alle auf einem Beet Platz hatten. Rosemarie hörte zu und machte alles, wie Johanna es ihr zeigte.
Die Sonne meinte es gut. Bald hatten beide ihre Ärmel hochgekrempelt und einen Sonnenhut aufgesetzt. Auch der Rücken machte sich bemerkbar, doch Rosemarie war nicht aufzuhalten, grub und hackte und band vorsichtig zarte Ranken an Holzstäbe. Sie wunderte sich, was alles zu tun war. Und noch mehr wunderte sie sich, wie viel Schönes sie entdeckte. Sie vermisste ihre Vormittag-Sendung nicht, sie hörte den Vögeln und Bienen zu, genoss jedes kleines Lüftchen, das ihr erhitztes Gesicht kühlte und atmete immer wieder tief ein, um die vielen Gartendüfte zu genießen.
„Geschafft!“, rief sie, als der letzte Korb mit Unkraut ausgeleert war.
„Gießen müssen wir noch.“ Johanna drückte ihr eine Kanne in die Hand. „Und dann gönnen wir uns was Feines.“
Erschöpft und glücklich saßen die Freundinnen später im Schatten und ließen es sich schmecken. Johanna bemerkte dankbar, dass nicht nur das Unkraut, sondern auch das letztes bisschen Groll verschwunden war. Die Harmonie tat ihr gut.
„Ich bin froh, dass du mir geholfen hast. Womit kann ich dir eine Freude machen?“, fragte sie schließlich. Rosemarie winkte ab. „Was soll das? Hab ich gern gemacht. Obwohl – vielleicht könnte ich mir einen Strauß mitnehmen, da hab ich ein Stückchen Garten im Zimmer.“
Johanna horchte auf. „Was? Du willst meinen Garten plündern?“ Den kleinen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. Rosemarie brauchte eine kleine Weile, dann verstand sie und gab ihrer Freundin einen Klaps auf den Arm. „Guck mal, wie eng das Pfennigkraut steht und die Löwenmäulchen, die kriegen keine Luft. Da ist auch eine Margerite abgeknickt …“ Die beiden Freundinnen sahen sich an und lachten. „In Ordnung, schaffen wir Platz für neue Knospen.“
Gemeinsam schnitten sie einen üppigen Strauß und setzten sich wieder auf die Bank. Auf dem Beet war nicht zu merken, dass etwas fehlte. Zufrieden nickte Johanna. So sollte es sein.
„Ich hab eine Idee“, sagte Rosemarie nach ein paar Minuten. „Der Strauß ist groß, den teile ich. Weißt du, meiner Nachbarin geht’s nicht so gut, die wird sich freuen.“
Glücklich drückte Johanna Rosemaries Hand.
Sie hatte es ja immer gewusst: Arbeit im Garten trug vielerlei gute Früchte.
Eva Mutscher
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